Was macht Gesellschaften erfolgreich? Es ist zweifellos eine sehr mächtige, polemische und zugleich eine sehr subversive Frage. Ihre Macht und Polemik hängen davon ab, dass diese Frage auf der einen Seite mit gleichermaßen mächtigen Begriffen (wie Erfolg) operiert und auf der anderen Seite stellt sie mehr als einen bloßen Zusammenhang zwischen erfolgreichen und nicht erfolgreichen Gesellschaften in Frage. Sie bedroht den (einen) Status Quo, der sich seit dem Anfang der Geschichte auf unsere Welt etabliert hat. Wer eine Antwort auf eine solche Frage sucht muss nicht nur starke Nerven haben, sondern muss sich auch bereit erklären seine Überzeugungen und Perspektiven selbst in Frage zu stellen.
Was heißt denn überhaupt Erfolg auf globalgesellschaftliche Ebene? Erfolg ist unmittelbar positiv-konnotiert. Erfolg ist nicht nur etwas Gutes, Erfolg ist etwas Erstrebenwertes. Auf der Individualebene streben wir nach unserem ganz individuellen (Konzept von) Erfolg. In vielen Fällen ist Erfolg mit einem gewissen (sozio-)ökonomischen Niveau verknüpft, in anderen mit einem familiären Zustand, oder mit Erfolgen auf betriebliche, akademische oder künstlerische Ebenen. Auf globalgesellschaftliche Ebene lässt sich Erfolg schlicht und ergreifend als einerseits die Größe des Bruttoinlandproduktes (gar nicht mal des BIP per capita) und andererseits in Form von wirtschaftlichem Wachstum (% des BIP im Jahr) übersetzen. Reiche Länder sind erfolgreiche Länder. Wachsende Wirtschaften sind erfolgreiche Wirtschaften.
Es gibt drei Aspekte des Begriffes (oder des Diskurses) „Erfolg“ die ich noch ausführen will. Erstens ist seiner Entwicklungscharakter: Erfolg ist in diesem Sinne ein Ziel. Erfolg kann erreicht werden indem man sich anstrengt, den Gürtel enger schnallt oder sich auf dieses Ziel konzentriert, je nach Situation. Man kann (angeblich) immer erfolgreich(er) werden, wenn man das macht was anderen zum Erfolg gebracht hat .Zweitens, Erfolg wird nur dann sichtbar, wenn jemand (anderes) den ersehnten Erfolg schon erreicht hat. Erfolg lässt sich ohne „Vorbilder“ gar nicht durchblicken. Das interessante dabei ist, dass Erfolg dann nicht etwas Unbewegliches oder Statisches ist. Es hängt nicht von einem bestimmten Niveau ab, sondern hängt von dem Niveau ab wo sich die „erfolgreichen“ gerade befinden. Es gibt kein Limit für Erfolg. Drittens, Erfolg ist unmittelbar relational. Es können keine „erfolgreichen“ existieren, ohne dass es andere mit wenigem oder gar keinem Erfolg gibt. Es muss Gewinner und Verlierer geben, damit das Konzept von „Erfolg“ erst sichtbar wird.
Unter Erfolg verstehe ich keinen materiellen Zustand. Erfolgreich ist nicht jene Gesellschaft, die so und so viel hat oder produziert (wobei eine Gesellschaft, die ständig wächst sich innerhalb des Spektrums des Erfolges befinden kann). Erfolg ist etwas inhärent Diskursives. Der Diskurs des Erfolges dominiert nicht nur politische, ökonomische oder soziale Debatten ist aber sowohl in Gesellschaften als auch in Individuen tief geankert.
Im Laufe dieses Forschungsprojektes werde ich mich sehr intensiv mit Diskursen als zentrale Forschungsgegenstände beschäftigen. Neben dem Erfolgsdiskurs sind für dieses Projekt Themen wie Entwicklung und Unterentwicklung, Wachstum und Fortschritt als diskursive Elemente von zentraler Bedeutung. Analog zum Erfolgsdiskurs, besitzen Entwicklung, Wachstum, Fortschritt usw. als diskursive Mittel auch eigene Konnotationen, Umfänge, Definitionen und Verständnisse, die von Zeit zu Zeit und von Gesellschaft zu Gesellschaft variieren.
Subjekte dieses Forschungsvorhaben sind in diesem Fall die „nicht so erfolgreichen“ Gesellschaften des globalen Südens in Lateinamerika (natürlich im Sinne eines bestimmten Konzepts von Erfolg und Fortschritt). Die armen und unterentwickelten Gesellschaften Lateinamerikas blicken seit der Entstehung der Territorialstaaten nach der Unabhängigkeitskriegen im 19. Jahrhundert auf fortgeschrittenen, modernen, reichen und natürlich erfolgreichen Gesellschaften im globalen Norden als Vorbild. Nach dem Motto „Raus aus der (selbstverschuldeten?) Unterentwicklung“ formulieren sie (eigentlich wird für sie formuliert) einen kategorischen Imperativ, der die Gesellschaft und die Politik schon mehr als 200 Jahre danach stark prägt. Die Ausbeutung, einerseits der Produktivkräfte und andererseits der Bodenressourcen in Form eines „wilden Extraktivismus“ entwickelte sich als einziges Vehikel und Mittel zum Wachstum, Fortschritt und somit zum Erfolg. Viele Jahrzehnten nach dem sogenannten „Erdölboom“ haben viele Mitglieder dieser Gesellschaften ihre „Unterentwicklung“ in Form von Armut und Präkarisierung nicht verlassen. Das Fortschritts- und Erfolgsversprechen des Extraktivismus wurde langsam zum „Ressourcenfluch“. Wie lässt sich denn erklären, dass Gesellschaften wie die in Lateinamerikanischen, die Jahrzehnten lang so gehorsam die Anleitungen und Ratschläge der „fortgeschrittenen“ Gesellschaften gefolgt haben, (noch?) nicht so erfolgreich sein wie die europäische oder nordamerikanische Gesellschaften sind? Mit dieser (sehr zugespitzten Frage) will ich mein Forschungsvorhaben einleiten.
Dieses Projekt bedient sich von soziologischen Fortschritts-, Wachstums-, und Entwicklungstheorien der Gegenwart, wobei Stephan Lessenichs Externalisierungsgesellschaft der (ideale) theoretische Rahmen für ein solches Projekt liefert. Lessenich beschreibt in seinem Buch „Neben uns die Sintflut: Die Externalisierungsgesellschaft und ihr Preis“ (2016), wie es dazu kommt, dass Gesellschaften im globalen Norden Kosten externalisieren, indem er die Externalisierung als soziale Praxis darstellt. Die Externalisierung hat im globalen Norden „mit dem »ganz normalen« Alltagshandeln »durchschnittlicher« Menschen“ zu tun (Lessenich 2016: 48). Die Externalisierungsgesellschaft operiert indem sie sich von einem gewissen Habitus, sei es einem Aufsteigerhabitus, einem fatalistischen Habitus oder einem Habitus der Selbstverständlichkeit bedient (vgl. Lessenich 2016: 60f.). „Der Schleier des nicht-wissen-wollens“ (ebd.: 63) etabliert sich somit als eine alltägliche Praxis, die die Hinterfragung der angeblichen Selbstverständlichkeit der Externalisierungsgesellschaft seitens der externalisierenden verhindert.
Eine zentrale These in meinem Forschungsvorhaben wird sein, dass man diesen Habitus auch in nicht-externalisierenden bzw. externalisierten/annehmenden Gesellschaften in einer sehr eigentümlichen Form finden kann. Der Habitus, der sich in Rahmen der Externalisierung in Gesellschaften des globalen Südens entwickelt hat, steht in einer engen Beziehungen zu Vorstellungen und Annahmen bezüglich des Fortschritts und des Erfolgs auf globalgesellschaftliche Ebene. Salopp gesagt: Genauso wie Menschen im globalen Norden ihre externalisierende Tätigkeiten kognitiv verarbeiten und begründen, verarbeiten und begründen Menschen im globalen Süden ihre externalisierte/annehmende Tätigkeiten (es muss ja irgendwie eine Balance errichtet werden, nicht wahr?). Diskurse über Erfolg, Fortschritt, Wachstum und (Unter-)Entwicklung spielen hier eine zentrale Rolle, denn sie liefern die nötige Bausteinen für die Konstruktion eines solchen Imaginariums. Diese Diskurse spiegeln sich nicht nur in sozialen Werten und Erwartungen, sondern auch in politischen Maßnahmen und wirtschaftliche Konzessionen in den jeweiligen Ländern. Der Extraktivismus, die Ausbeutung menschlicher und natürliche und Umweltressourcen, ist insofern das materielle und diskursive Grundelement der annehmenden Gesellschaften. „Wir haben die Ressourcen, ihr habt das Geld, why not?“
Ziel dieses Projektes ist die Präsentation und Analyse unterschiedlichen Diskursen, wie Erfolg, Fortschritt, Wachstum und Entwicklung und ihre eigentümliche diskursive Elemente in Rahmen eines Externalisierungs- und Internalisierungsprozesses in dem Kontext des lateinamerikanischen Extraktivismus und die Implikationen auf Gesellschaft, Politik und Umwelt. Lassen sich solche Diskurse rekonstruieren und ist die Beschreibung einer Internalisierungsgesellschaft mittels dieser diskursiven und habituellen Elemente möglich? Sind Alternativen im globalen Kapitalismus in Sicht?
Ganz konkret würde ich mich mit Ecuador und mit dem Ecuadorianischen Beispiel der Initiative Yasuní ITT 2007-2013 beschäftigen. Der Ecuadorianische Staat erklärte sich 2007 bereit die größten Ölreserven des Landes gegen einen Beitrag der internationalen Staatengemeinschaft von 7,2 Milliarden Euro nicht zu fördern[1]. Somit entstand die perfekte Atmosphäre für die Artikulierung von Diskursen nicht nur über Ölförderung, sondern auch über Wachstum, Fortschritt und Entwicklung in Rahmen eines (post-)extraktiven Projekts. Die Konstellation zwischen Umwelt, Gesellschaft, Förderung, Wirtschaft, Entwicklung, u.a. würde sichtbar. Der Austausch war damals, sowohl im Landesinneren als auch im Ausland intensiv. Die Initiative war nicht erfolgreich: die Treuhand, die die Gelder verwaltete, erreichte nicht die erwartete Summe und die Initiative wurde von der Regierung 2013 beendet. Die Reserven unterm Nationalpark Yasuní werden derzeit gefördert. Meines Erachtens produziert ein solches Ereignis (als quasi Krisenexperiment) die idealen Bedingungen für die Ausbreitung von den diskursiven Mitteln und Elementen, die ich für die Ausarbeitung des Themas brauche. Wie lässt sich diesen „Exkurs“ oder „Abdrift“ nicht nur beschreiben, sondern auch in Rahmen einer solchen diskursiven Konstellation sogar erklären?
Empirisch werde ich so vorgehen, dass ich die Daten und Information im Sinne einer qualitativen Diskursanalyse erfassen werde. Mittels qualitativen Interviews und der qualitativen Analysen von (massen-)medialen Quellen werde ich (versuchen) die jeweiligen Diskurse des Erfolgs, des Wachstums, der Entwicklung, der Unterentwicklung (zu) identifizieren und (zu) de- und rekonstruieren mit dem Ziel diese in Rahmen eines globalen externalisierenden-internalisierenden Prozesses zu verorten. Subjekte der Untersuchung werden Teilnehmer der diskursiven Auseinandersetzung sein, sowie Massenmediale Auftritte, offizielle Erklärungen und andere Formen des diskursiven Austauschs. Die Organisierung eines Forschungsaufenthaltes in Lateinamerika (Ecuador) im vsl. SoSe 2018 oder WiSe 2018/19 gehört zu den wichtigsten Elementen dieses Projektes. In Rahmen dieses Forschungsaufenthaltes wird die Datenerhebung durchgeführt, Daten die danach ausgewertet und analysiert werden.
Literatur
Brand, Ulrich (2008): Conflicts in environmental regulation and the internationalisation of the state. Contested terrains. London, New York: Routledge.
Brand, Ulrich; Lösch, Bettina; Thimmel, Stefan (op. 2007): ABC der Alternativen. Von “Ästhetik des Widerstands” bis “Ziviler Ungehorsam. Hamburg: VSA-Verlag.
Brand, Ulrich; Radhuber, Isabella Margerita; Schilling-Vacaflor, Almut (2013): Plurinationale Demokratie in Bolivien. Münster: Westfälisches Dampfboot.
Chichilnisky, Graciela; Jiménez-Williams, Iván Humberto; Vogel, Joseph (2012): La economía de la Iniciativa Yasuní-ITT. Cambio climático como si importara la termodinámica. Cambridge: Cambridge University Press.
Galeano, Eduardo (1971): Las venas abiertas de América Latina. Buenos Aires.
Goetze, Dieter (2002 c2002): Entwicklungssoziologie. Eine Einführung. Weinheim, Munchen: Juventa Verlag, Juventa Verlag.
Görg, Christoph; Brand, Ulrich (2002): Mythen globalen Umweltmanagements. “Rio + 10” und die Sackgassen nachhaltiger Entwicklung. 1. Auflage. Münster: Westfälisches Dampfboot.
Grimm, Klaus (1979): Theorien der Unterentwicklung und Entwicklungsstrategien. Eine Einführung. Opladen: Westdeutscher Verlag.
Hadenius, Axel (2008): Democracy and development. Cambridge: Cambridge Univ. Press.
Lessenich, Stephan (2016): Neben uns die Sintflut. Die Externalisierungsgesellschaft und ihr Preis. München: Hanser Berlin.
Müller, Franziska (2014): Entwicklungstheorien. Weltgesellschaftliche Transformationen, entwicklungspolitische Herausforderungen, theoretische Innovationen. 1. Auflage. Baden-Baden: Nomos.
Roxborough, Ian (1992): Theories of underdevelopment. London: Macmillan.
Sadik-Zada, Elkhan Richard (2016): Oil Abundance and Economic Growth. Berlin:LOGOS Verlag.
Schulz, Manfred (Hg.) (1997): Entwicklung. Die Perspektive der Entwicklungssoziologie. Opladen: Westdeutscher Verlag.
Spybey, Tony (1996): Social change, development and dependency. Modernity, colonialism and the development of the West. Cambridge, UK [u.a.]: Polity Press.
Welzer, Harald (2014): Selbst denken. Eine Anleitung zum Widerstand. 6. Auflage. Frankfurt am Main: S. Fischer.
[1] http://www.saveyasuni.eu/themen/die-initiative.html (Zuletzt am 10.05.2015)